DDR und Judenhass
Der gemeinsame Feind:
Wie die DDR in enger Komplizenschaft mit der westdeutschen Linken Israel bekämpfte
Die DDR war das einzige Mitglied des Warschauer Paktes, das nie diplomatische Beziehungen zum Staat Israel unterhielt. Sie war gleichwohl der erste Staat in Europa, der die Terrororganisation PLO formell anerkannte. Zusammen mit der westdeutschen Linken ist man eine unheilige eliminatorische Allianz gegen Israel eingegangen. Dabei blieb die diffamierende Assoziation Israels mit Nazi-Deutschland ein ständig wiederholtes Muster des linken Antizionismus. (JR)
Von Theodor Joseph
Im Jahre 1978/79 lebte der amerikanische Historiker Jeffrey Herf in Frankfurt am Main, um für seine Dissertation zu recherchieren. Dort hörte er von Berichten über zwei Mitglieder der Frankfurter linken Szene, die an der Entführung einer Maschine der Air France mit 248 Passagieren an Bord auf dem Weg von Tel Aviv nach Paris durch „palästinensische“ und deutsche Terroristen teilgenommen hatten.
Das Besondere an diesem Terrorakt im Juli 1976 auf dem Flughafen von Entebbe in Uganda war, dass deutsche Linksterroristen mit vorgehaltenen Maschinenpistolen jüdische Passagiere von den anderen trennten. Die übrigen Geiseln wurden freigelassen. Als ein Holocaustüberlebender dem an der Aktion beteiligten Wilfried Böse dabei seine am Unterarm eintätowierte KZ-Häftlingsnummer zeigte, erwiderte dieser auf den darin implizierten Vorwurf, er sei kein Nazi, sondern Idealist, sein Ziel sei es, den unterdrückten „Palästinensern“ zu helfen.
Erstmals seit den Selektionen an der Rampe von Auschwitz hatten Deutsche Staatsbürger Juden nach den Kriterien der Nürnberger Rassegesetze wieder stigmatisiert. Seit dem Sechs-Tage-Krieg im Juni 1967 hatte sich die radikale Linke gegen Israel gewandt, begonnen, mit „palästinensischen“ Organisationen zusammen zu arbeiteten und sich militärisch ausbilden zu lassen. Herfs Urteil klingt absolut: In keinem anderen Land habe der „antiisraelische Eifer“ eine so „erstaunliche Flucht vor der Last einer nationalen Vergangenheit“ mit sich gebracht wie in Deutschland. (Jeffrey Herf: Unerklärte Kriege gegen Israel. Die DDR und die westdeutsche radikale Linke, 1967-1989, Wallstein Verlag, Göttingen 2019).
Im Oktober 1977 entführte die „palästinensische“ PFLP das Lufthansa-Flugzeug „Landshut“ nach Mogadischu, um den Druck der RAF („Rote Armee Fraktion“), die den Arbeitgeberpräsidenten Hanns Martin Schleyer entführt hatte und inhaftierte RAF-Terroristen freipressen wollte, auf die Bundesregierung zu erhöhen.
Angriffe auf jüdische Einrichtungen
Im Jahre 1978 nahmen terroristische Anschläge in Deutschland immer dramatischere Ausmaße an. „Legitime“ Angriffsziele waren jüdische Einrichtungen: Altenheime, Kindergärten, Synagogen. In rabulistischer Verdrehung deklarierten die „Roten Zellen“ ihre Ziele: „Kampf gegen Zionismus ist der entschiedenste Kampf gegen jeglichen Antisemitismus“. Demzufolge war das Töten von Juden in der Bundesrepublik ein Mittel, Antisemitismus zu bekämpfen. Welch eine verquere Logik.
Warum handelten westdeutsche Extremisten wie Vernichtungsantisemiten? Und warum ließen ostdeutsche Kommunisten, die gegen die Nazis gekämpft hatten und ihre antifaschistische Tradition hochhielten, den Feinden Israels massiv Unterstützung zukommen und feierten Jassir Arafat auf den Titelseiten ihrer staatlich kontrollierten Presse? Das sind Fragen, die nachdenklich machen. Ein Grund mag der Tatsache geschuldet sein, um aus der internationalen Isolierung auszubrechen.
Der Staatsapparat im Osten und die radikalen Linken im Westen, vereinigt in einer unheiligen Allianz und nicht gebunden an einen moralischen Kompass, erhoben für sich den Anspruch, ihr Antagonismus gegenüber Israel sei eine Form des Antirassismus und sogar des Antifaschismus. Was die DDR betraf, so war das ideologische Fundament in den stalinistischen „antikosmopolitischen Säuberungen“ Anfang der 1950er Jahren in der Sowjetunion und Osteuropa gelegt worden. Die vormals für eine kurze Zeit geübte Unterstützung für den werdenden Staat Israel war obsolet geworden und der Begriff „Zionismus“ wurde fortan zu einem Schmähwort im kommunistischen Diskurs.
Die nach 1945 aus dem Exil zurückgekehrten deutschen Kommunisten waren überzeugt, dass sie selbst, nicht die Juden, die eigentlichen Opfer von NS-Verfolgung gewesen seien. Sie empörten sich über die Ansprüche der jüdischen „Opfer“, ihr Leid auf die gleiche Stufe wie das der kommunistischen „Widerstandskämpfer“ stellen zu wollen. Doch kein „so dichter ideologischer Nebel“, so Herf, konnte die schlichte Tatsache verschleiern, dass sich Deutsche wieder einmal daran beteiligten, Juden Gewalt anzutun. Die politischen Entscheidungsträger in der DDR schlossen zu einer Zeit Bündnisse mit „palästinensischen“ Terrororganisationen, als diese Anschläge gegen Israel verübten.
Mit Antizionismus gegen den Antisemitismus
Der propagierte Antizionismus ging mit einem Wiederaufleben antisemitischer Verschwörungstheorien einher. Dieser Punkt führt dazu, die Frage aufzuwerfen, ob das ostdeutsche Regime womöglich die zweite antisemitische Diktatur im Deutschland des 20. Jahrhunderts war, ob Teile der westdeutschen radikalen Linken eine antisemitische Bewegung waren und gerade deshalb Anhänger fanden, weil der Hass auf Israel in Deutschland eine vertraute Tonart anschlug. Die DDR ließ keine Gelegenheit aus, Israel propagandistisch zu denunzieren, zu dämonisieren und zu delegitimieren. Herf förderte bei seinen Recherchen Archivquellen ans Licht, die belegen, wie umfangreich Ostberlin radikale Feinde Israels mit „Solidaritätsgütern“ unterstützte. Das Ausmaß und die Details dieser eliminatorischen Komplizenschaft waren bislang nicht bekannt.
Die DDR war das einzige Mitglied des Warschauer Paktes, das nie diplomatische Beziehungen zum Staat Israel unterhielt, gleichwohl der erste Staat in Europa, der die PLO formell anerkannte. Das Politbüro in Pankow instruierte während des Sechs-Tage-Krieges 1967 den Direktor des Nationalrats der Nationalen Front, Albert Norden, Sohn des in Theresienstadt ermordeten Rabbiners Joseph Norden, „Stellungnahmen von jüdischen Bürgern der DDR zu veröffentlichen, in denen sie ihre Empörung über die Israel-Aggression und das Komplott Israel-Washington-Bonn zum Ausdruck bringen“ sollten. Doch damit stieß Norden auf Granit: Mehrere prominente ostdeutsche jüdische Autoren, wie etwa Arnold Zweig, weigerten sich rundheraus, eine solche Erklärung zu unterschreiben.
Staatsratsvorsitzender Walter Ulbricht wurde nicht müde, Israel mit NS-Deutschland zu vergleichen. Er schwadronierte, wenn er auf Israel zu sprechen kam, ganz in der Diktion der NS-Propaganda, vom „Protektorat Sinai“ oder vom „Generalgouvernement Jordanien“. Die Assoziation Israels mit Nazi-Deutschland blieb ein ständig wiederholtes Muster des linken Antizionismus. Die archivalischen Belege verschiedener DDR-Institutionen lassen keinen Zweifel daran, dass der Arbeiter- und Bauernstaat einen nicht erklärten Krieg gegen den Judenstaat führte.
Seit der Aufnahme in die UNO 1973 spielte die DDR in ihrer antiisraelischen Haltung eine aktive Rolle und nutzte die Vollversammlung, um die Forderungen der PLO zu vertreten. Während die BRD und die USA sich hier häufig in der Minderheit wiederfanden, schlug sich die DDR konsequent auf die Seite der großen antiisraelischen Mehrheit.
Der westdeutsche linke Antisemitismus
Als die westdeutsche Linke 1967 Elemente des linken Antiimperialismus übernahm, ordnete sie Israel ebenfalls auf der „falschen“ Seite ein, als einen Staat, der in ihren Augen verantwortlich war für die weltweite Spannung zwischen einem bösen Imperialismus und einer tugendhaften, ausgebeuteten „Dritten Welt“. Dieter Kunzelmann, ein prominenter Linker aus West-Berlin, führende Figur der West-Berliner „Tupamaros“, drängte 1969 seine Genossen, den „Judenkomplex“ zu überwinden, der das linke revolutionäre Denken und Handeln behindere. Und im November 1972 bejubelte Ulrike Meinhof den Anschlag des „Schwarzen September“ auf israelische Athleten bei den Olympischen Spielen in München als großartige revolutionäre Tat mit den Worten, Israel selbst habe seine Sportler „verheizt wie die Nazis die Juden – Brennmaterial für die imperialistische Ausrottungspolitik“. Das Ziel der westdeutschen Regierung sei es gewesen, so Ulrike Meinhof, „nur ja dem Mosche-Dayan-Faschismus – diesem Himmler Israels“ – in nichts „nachzustehen“. Es gab einen westdeutschen linksradikalen Antisemitismus, der offen den Mord an Juden guthieß!
Für Meinhof und mit ihr andere RAF-Komplizen war der Anschlag in München eine großartige revolutionäre Tat. Die arabischen Völker hätten begriffen, wen sie mit Westdeutschland vor sich hatten – „imperialistische Ausrottungsstrategen“. Es sei nicht die Schuld der PLO-Kämpfer gewesen, dass die israelischen Athleten zu Tode gekommen seien, es sei „idiotisch zu glauben“, die Revolutionäre hätten dies „gewollt“. Sie wollten doch nur die Freilassung der „palästinensischen“ Gefangenen bewirken. Und deswegen hätten sie Geiseln genommen von einem Volk, das ihnen gegenüber „Ausrottungspolitik“ betreibe. Die deutsche Polizei hätte die Revolutionäre und die Geiseln „massakriert“. Der Meinhofsche Appell endete in Anspielung auf Marx mit dem Slogan „Revolutionäre aller Länder vereinigt Euch!“ Mit diesem Aufruf hatte Ulrike Meinhof zu Dieter Kunzelmann und weiteren prominenten Wortführer der radikalen Linken aufgeschlossen, die rhetorische Solidarität mit den Arabern und „Palästinensern“ mit einem leidenschaftlichen Jubel über „palästinensische“ Gewalt gegen Israelis verflocht. Ulrike Meinhofs Schrift „Die Aktion des Schwarzen September in München: Zur Strategie des Antiimperialistischen Kampfes“, ein Essay über den Anschlag auf die israelische Olympiamannschaft in München, wurde fester Bestandteil des Kanons linksextremen Antisemitismus in der deutschen und europäischen Nachkriegsgeschichte.
Die Feindseligkeiten gegenüber Israel wurde nach 1967 definierendes Merkmal des westdeutschen Linksextremismus und erlebte ihren Höhepunkt in den Anschlägen gegen das israelische Olympiateam während er Olympischen Spiele in München 1972.
Ostdeutscher Judenhass
Die Hinterlassenschaft der DDR lastet schwer: Denn das DDR-Regime und die radikalen Linken in der BRD haben ein toxisches ideologisches Gebräu hinterlassen. Ihre verzerrten Darstellungen über Israel, der massive Einsatz von Terror und die Rechtfertigung desselben werfen einen verheerenden Schatten auf die Politik und die politische Kultur des Nahen Ostens, Deutschland und der ganzen Welt.
Es scheint so, als hätten die Kommunisten im Osten Deutschlands das Wesen und die Ursprünge des Judenhasses nie wirklich begriffen. Ihre lange Feindseligkeit gegenüber Israel steckte voller Klischees und Stereotypen über die Boshaftigkeit des jüdischen Staates – allesamt vertraute antisemitische Topoi. Indem die Linken die Bundesrepublik wegen ihrer „philosemitischen“ Staatsräson schmähten, war ihre Verurteilung des Zionismus eine Form, die Last der deutschen Geschichte zu kompensieren.
In der kurzlebigen Geschichte der Volkskammer von April bis 2. Oktober 1990 verabschiedeten die Abgeordneten am 12. April 1990 ohne Gegenstimme bei 21 Enthaltungen eine Resolution, in der „um Verzeihung“ für die „Heuchelei und Feindseligkeit der offiziellen DDR-Politik“ gegenüber dem Staat Israel und „für die Verfolgung und Entwürdigung jüdischer Mitbürger auch nach 1945 in unserem Lande“ gebeten wurde. Und am 22. Juli 1990 distanzierten sich die Abgeordneten in einer weiteren Resolution von der „hierzulande praktizierten antiisraelischen und antizionistischen Politik“ sowie von der UN-Resolution 3379 unter Hinweis auf die darin festgestellte Gleichsetzung von Zionismus und Rassismus.
(Zitatende, Quelle Jüdische Rundschau, September 2022)